Yuko Sakurai / 桜井 由子
YUKO SAKURAI
„Ölfarbe ist einfacher als Sahne und Schokolade“
November 2002 / Mai 2003
PETER LODERMEYER: Du bist die Tochter eines Bildhauers. Vermutlich bist du also in einer häuslichen Umgebung aufgewachsen, die sehr stark durch Kunst und Diskussionen über künstlerische Themen bestimmt war. Ist dieser soziale Hintergrund heute noch von Bedeutung für deine künstlerische Arbeit?
YUKO SAKURAI: Ja, mein Vater hatte einen großen Einfluss, der in mir lebendig geblieben ist. Er macht hauptsächlich Skulpturen, die menschliche Gesichter und Körper darstellen. Er drückt seine Emotionen gegenüber den Motiven seiner Kunst aus. Seine Werke sind warm, ruhig und zeigen eine menschliche Note. Er wählt Modelle aus, deren Charakter sich in ihren Gesichtern zeigt. Seit ich ein Kind war, bin ich immer an seinen Skulpturen interessiert gewesen, ganz besonders an den Porträts. Die Modelle, die er auswählt, sind nicht unbedingt schön, daran ist er nicht interessiert, es ist die Stimmung, die diese Person ausdrückt. Meine Art mich auszudrücken ist ganz verschieden von der meines Vaters, aber der Grundgedanke und die Stimmung sind gar nicht so weit davon entfernt. Auch meine Arbeit soll nicht schön sein. Ich möchte ehrlich zu mir selbst sein und in meinen Werken meine Gefühle zum Ausdruck bringen. Ich verstand das Konzept meines Vaters nicht, als ich noch jung war und in seiner Nähe lebte, aber natürlich lernte ich viel von ihm. Meine beiden Eltern haben eine künstlerische Ausbildung. Ich respektiere meinen Vater als Künstler und ich verstand die Entscheidung meiner Mutter sehr gut, Geld zu verdienen anstatt Künstlerin zu sein. So ging ich auch in eine andere Richtung und machte eine Ausbildung in „Französischer Konditorei“.
P.L.: Gibt es irgendetwas Verbindendes zwischen dem Herstellen französischer Kuchen und der Malerei?
Y.S.: Ölfarbe ist einfacher als Sahne und Schokolade. Ich benutzte auch als Konditorin Pinsel und Palettmesser, daher fühlte ich mich ganz wohl dabei, die Malerei zu erlernen. Sowohl Kuchen als auch Gemälde werden von Hand gefertigt, beide lassen meine Persönlichkeit erkennen. Beides durchläuft viele Arbeitsprozesse, um zum Endresultat zu kommen. Konditorwaren herzustellen ist nicht einfach nur eine schöne Arbeit, es erfordert viel Körperkraft und braucht Beharrlichkeit beim Arbeiten, genau wie meine jetzige Arbeit. Die Farbe, die ich benutze, hat eine Konsistenz wie Butter. Materialien und ihre speziellen Eigenschaften sind ein wichtiger Wert in meinem täglichen Leben. Ich benutze das Material nicht nur wegen des visuellen Ergebnisses, vielmehr ist das Material das, was es ist, ein Teil meiner Arbeit.
P.L.: Wieso ist das Arbeiten mit Ölfarbe leichter als das mit Sahne und Schokolade?
Y.S.: Sahne zum Beispiel wird sehr schnell hart und trocken. Ebenso verändert sie, wenn ich damit zu langsam arbeite, ihre Farbe und ihre Geschmacksqualität. Wenn ich Schokolade als Glasur für einen Kuchen benutze, braucht es die exakt richtige Temperatur dafür. Wenn ich sie nicht sehr sorgfältig schmelze, trennt es sich in Öl und Kakao. So spürte ich immer, dass es wirklich organische Materialien sind. Wenn ich nicht genügend Acht darauf gebe, tun sie nicht das, was ich möchte, und man kann es nicht mehr ändern, wenn man einen Fehler macht. Ölfarbe jedoch behält ihre Konsistenz und ihre Farbe über einen langen Zeitraum.
P.L.: Welchen Stellenwert hat das Handwerkliche in deiner Malerei im Verhältnis zu ihrem intellektuellen oder konzeptuellen Gehalt?
Y.S.: Für mich ist beides wichtig, der technische und der konzeptuelle Aspekt meiner Arbeit. Wenn meine Technik nicht gut ist, kann ich nicht erreichen, was ich ausdrücken möchte. Wenn der intellektuelle Teil meiner Arbeit keine gute Begründung hat, fühle ich mich mit meinem Werk nicht wohl – also muss ich für beides Sorge tragen. Und ich möchte beide Aspekte entwickeln und miteinander wachsen lassen.
P.L.: Ich habe vorhin deine Arbeit als Malerei bezeichnet. Ich weiß, dass du lieber von Objekten sprichst. Warum?
Y.S.: Weil meine Intentionen nichts mit dem Erforschen der Malerei selbst zu tun haben. Die verschiedenen Texturen wollen nichts anderes als meine unterschiedlichen Emotionen zum Ausdruck bringen. Sie sind keineswegs analytische Versuche oder Materialuntersuchungen. Es ist wahr, dass hauptsächlich die bemalte Vorderseite Träger meiner Emotionen ist, aber die Technik, in der ich das Material auftrage, ist so verschieden von traditionellen Malweisen, dass ich dabei überhaupt nicht das Gefühl habe, zu malen. Es ist tatsächlich viel eher das Gefühl, ein Objekt zu schaffen. Ich möchte mich um das ganze Objekt kümmern, nicht nur um die bemalte Oberfläche. Es ist das gesamte Objekt, das meine Beziehung zu seinem Sujet ausdrückt, die Wahl des Holzes, das Zuschneiden, Schmirgeln, Größe, Farbe, usw.
P.L.: Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass deine Arbeit keine Malerei im traditionellen Sinne ist, aber die Malerei hat sich nach ihrer Definition und ihrer Praxis in den letzten Jahrzehnten so sehr erweitert, dass es schwer fällt, ihr zu entkommen – und das ist sicher nicht nur eine Frage der Technik und der Methode des Farbauftrags.
Y.S.: Malerei hat hauptsächlich mit Visualität zu tun, aber ich mag es, wenn der Betrachter meine Arbeiten auch berührt, weil ich mit ihm meine Emotionen, Gefühle und Gedanken teilen möchte. Als ich jung war, hat mein Vater mir beigebracht: „Du kannst meine Arbeiten berühren, so wirst du mehr verstehen.“ Daher mag ich es, wenn der Betrachter meine Werke anschaut, sehr nahe davor steht, die Details betrachtet und sie berührt. Ich selbst möchte eine Arbeit stets berühren, wenn ich sie mag. Ich will diese taktile Kommunikation mit dem Betrachter. Ich gestalte meine Werke so, dass sie ihm den Wunsch geben, sie anzufassen. Wenn ich über Carl Andres metallene Bodenskulpturen gehe, versuche ich zu fühlen, was er sagen möchte und genieße ihren Klang und ihre Berührung. In der Zukunft möchte ich gerne freistehende Objekte aus Holz machen.
P.L.: Meinst du wirklich ein Anfassen deiner Arbeiten mit den Fingern oder nur metaphorisch ein Abtasten mit den Augen?
Y.S.: Ja, ich will das Gefühl realer taktiler Kommunikation zwischen meinem Werk und dem Betrachter anregen, das bedeutet körperliche Berührung. Wenn die Betrachter meine Arbeiten mögen und sie anfassen, werden sie gut darauf aufpassen. Da habe ich keine Angst. Und ich weiß, dass es mir gefallen würde, die Fingerabdrücke der Betrachter darauf zu finden.
P.L.: Du sagtest, dass die Texturen deiner bemalten Flächen für dich lediglich Mittel zum Zweck sind, deine Emotionen zu äußern. Aber ich denke, dass sie viel mehr sind, nämlich gelungene Beispiele für den nichtillusionistischen Gebrauch von (Öl-)Farbe als ein formbares Material. Wie ist es beispielsweise möglich, diese erdklumpenartigen Strukturen wie in Tsuyama hinzubekommen?
Y.S.: Alles was ich mache, ist der Versuch die Möglichkeiten, die im Material stecken, zu nutzen, um meine Emotionen bestmöglich auszudrücken. Es ist nicht meine Absicht, das Material zu erforschen, vielmehr ergeben sich die Entdeckungen aus dem Umgang mit der Ölfarbe. So fand ich heraus, dass alte, trockene Teile von Ölfarbe innerhalb der Substanz genau die Oberfläche bildeten, die ich brauchte, um meine emotionale Beziehung zu Tsuyama auszudrücken.
P.L.: Es ist zweifellos das sorgfältig ausgearbeitete, zart strukturierte „Finish“ deiner Oberflächen, was deine Bilder auszeichnet. Ist da eine besondere asiatische oder japanische Sensibilität am Werk (gibt es überhaupt so etwas wie eine „japanische Sensibilität“)?
Y.S.: Ich denke, wir Japaner lieben Reinheit, Ruhe und ebenso Mühe und Geduld. Das heißt, wir lieben es, in unserer Arbeit Gefühl zu zeigen und die viele Mühe dahinter beinahe zu verbergen. Viele Japaner sind nicht religiös, aber die Naturverehrung ist in ihrem Leben als Brauch erhalten geblieben. So leben wir zwar in einer modernen Gesellschaft, doch wir bemühen uns noch immer um viele kleine Details aus der Natur. Ich meine, wir legen sehr viel Sorgfalt in den eigentlichen Schaffensprozess, und wenn dieser Prozess gut durchgeführt worden ist, wird das Resultat sich ganz von alleine einstellen. Das Bild, das ich von der westlichen Kunst habe, ist ein kraftvolles und dynamisches. Japaner haben eine Kultur des gemäßigten Ausdrucks. Für sie ist es natürlicher, einen Schritt zurückzuhalten anstatt alles herzuzeigen. Japan ist eine Insel, daher haben wir viele Wünsche und Träume davon, andere Kulturen zu sehen, doch ebenso wollen wir den Bezug zu unserer Umgebung, insbesondere zur Natur, nicht vergessen. Ich denke, diese „japanische Sensibilität“ kommt von daher.
P.L.: Dennoch entstehen deine Arbeiten im Kontext westlicher Kunst. Welche sind die wichtigsten Einflüsse, die du in diesem Kontext empfangen hast?
Y.S.: Ich sehe meine Werke nicht als „westliche Kunst“. Bei der Art, wie ich male, empfinde ich manchmal eine Ähnlichkeit mit der Kalligraphie, jedoch benutze ich Ölfarbe auf abstrakte Art und Weise. Ich als Person bin eine Japanerin, die jetzt hauptsächlich in einer westlichen Umgebung lebt, und als solche drücke ich meine persönliche Stimmung aus, wie sie in diesem Moment ist. In den letzten Jahren habe ich Künstlern wie René Rietmeyer, Tomoji Ogawa und Takashi Suzuki assistiert. Ich lernte viele technische Dinge von ihnen und beschäftigte mich auch mit ihren Gedanken. Manchmal war ich aktiv an der Suche nach Antworten auf ihre Fragen beteiligt. Die Möglichkeit, die Werke dieser Künstler zu berühren, war etwas ganz Besonderes, es gab mir viel Kraft und führte zu dem Wunsch, meine eigene Kunst zu schaffen; ich verstand nun, auf welche Weise ich mich selbst ausdrücken wollte. Auch wenn ich ihn nie getroffen habe, hatte auch Robert Ryman Einfluss auf mich. Mir gefällt, wie er das Material verwendet, ebenso die Bewusstheit seiner Materialität und die Aufmerksamkeit, mit der er das Material aufträgt. Seine Werke sehen einfach aus, jedoch schön, zart und warm. Als ich seine Arbeiten auf Leinwand zum ersten Mal sah, war ich beeindruckt. Es war eine ganz ehrliche Art der Präsentation. Ich konnte die Texturen richtig spüren.
P.L.: Obwohl du zumeist in Europa und in den Vereinigten Staaten lebst, beziehen sich deine jüngsten Arbeiten oft auf deine japanische Heimat. Tanbo zum Beispiel verweist auf japanische Reisfelder. Sein helles goldenes Ocker strahlt eine optimistische, freundliche Atmosphäre aus, aber Nihonkai hat eine eher ernste und traurige Farbe. Was ist der Grund dafür?
Y.S.: Nihonkai ist das Meer zwischen Japan, China und Korea. Unsere Küste dort ist weniger entwickelt als die Pazifikküste. Klima und Landschaft sind schwierig. Das Leben dort hat sich seit früher nicht so sehr verändert, daher ist es sehr schwer, die Balance zwischen traditionellem und modernem Lebensstil zu wahren. Ich sehe viel schöne Natur auf der Nihonkai-Seite, aber die Menschen zerstören die Natur beim Versuch, den entwickelteren Städten gegenüber aufzuholen und denken nicht genügend über die Zukunft nach. Es war sehr traurig, das zu sehen und es tat mir richtig weh. Ganz anders ist Tsuyama. Es liegt in einem Tal, umgeben von einer Bergkette. Es hat vier schöne Jahreszeiten, und ich lernte dort von meinen Großeltern und anderen, wie man mit der Natur lebt. Ich bin in Tokio großgeworden, aber Tsuyama ist meine Basis, der Mutterboden für mein Heranwachsen als Mensch.
P.L.: Es ist lediglich eine Ausnahme, dass du deine Arbeiten an den Orten machst, auf die sie referieren. Normalerweise ist es eine Sache der Erinnerung. Erinnerungen haben mit der eigenen Vergangenheit, dem Vergehen der Zeit, mit Selbstbildern und Selbsterfahrung zu tun. Versuchst du mit deinen „Gemälde-Objekten“ auch die Erinnerungen des Betrachters zu aktivieren?
Y.S.: Für mich hängen Erinnerungen mit Erfahrungen in der Vergangenheit zusammen, die aber in mir gegenwärtig sind. Sie sind ein wichtiger Teil des emotionalen Zustands, in dem ich mich in dem Moment befinde, sie bringen die Gefühle hervor, die ich meinem Thema entgegenbringe. Die Emotionen, die ich sichtbar mache, sind meine ganz persönlichen Gefühle. Ich hoffe, dass der Betrachter dies auch dann erfahren kann, wenn er, wie es meistens der Fall sein wird, keinerlei Erinnerungen mit dem Thema selbst verknüpft. Das Betrachten meiner eigenen Werke lässt mich tatsächlich meiner eigenen Gefühle bewusster werden. Der Betrachter hingegen wird vielleicht nicht viel über sich selbst erfahren, aber er wird in der Lage sein, tief in mich hineinzuschauen.